An was denkst Du, wenn Du du Kanada hörst? Klar – Wälder, Seen, lange Winter und vielleicht noch einsame Blockhütten. Am wenigstens denkst man sicherlich daran, dass Kanada eins der fortschrittlichsten und tolerantesten Demokratien weltweit hat. So sind dort Diskussionen um die gleichgeschlechtliche Ehe, Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Eltern schon lange kein Diskussionspunkt mehr. 2005 öffnete Kanada als viertes Land weltweit die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Das war also schon vor 12 Jahren.
Nun hat die liberale Politik noch einmal etwas erweitert: Das kanadische Oberhaus hat am Donnerstag auf Initiative von Premierminister Justin Trudeau ein umfassendes Gesetz zum Schutz und zur Gleichberechtigung von Transgendern beschlossen.
Konkret wird das neue Gesetz dazu führen, daß immer mehr Einrichtungen geschlechterneutrale Toiletten, die allen offen stehen, einführen werden. Transgender- Beamte haben einen einklagbaren Anspruch auf einen diskriminierungsfreien Arbeitsplatz. Gefängnisse müssen Strafgefangene gemäß ihrer Geschlechtsindentität unterbringen. Nach dem Unterhaus muss jetzt noch der Senat zustimmen. Reisepässe sollen die Option eines “neutralen Geschlechts” erhalten. Ein erster Schritt ist schon umgesetzt: Auf der elektronischen Einreisegenehmigung für Kanada, die alle Besucher aus dem Ausland seit kurzem beantragen müssen, kann man beim Geschlecht neben “männlich” und “weiblich” neuerdings auch “sonstiges” ankreuzen.
Das neue Gesetz schreibt jetzt erstmals fest, dass niemand vom Staat wegen seiner geschlechtlichen Identität oder seinem Geschlechtsausdruck benachteiligt werden darf. Hasspredigten gegenüber Transgender werden illegal. Verbrechen, die auf Vorurteilen oder gar Hass beruhen, werden härter bestraft.
Ca. 70% (!) der Kanadier stehen hinter dieser Gesetzgebung – vorausgegangen waren jedoch schon einige Richter in Bundesländern, die in ihrer Rechtssprechung ein diskrimierungsfreies Leben zum Grundanspruch von Menschen machten.
Umso mehr hat mich dann doch eine Veröffentlichung eines norddeutschen Vereins aufhorchen lassen, der von sich behauptet die Interessen von transsexuellen Menschen zu vertreten.
Nun kann man ja geteilter Meinung zur Verwendung von Begrifflichkeiten – doch scheinbar geht es diesem Verein um einiges mehr: Eine echte Interessenvertretung von echten transsexuellen Menschen und das Verleugnen, andersweiiger Interessenvertretungen unter dem Label „Trans*: „Es ist geradezu eine Verhöhnung, wenn solche Trans* Vereinigungen behaupten auch transsexuelle Menschen zu vertreten. Was dann noch total unverständlich ist, wie können wirklich transsexuelle Menschen solche Vereinigungen für Trans* auch noch unterstützen und glauben, dass diese Vereinigungen in ihrem Interesse agieren?
In einem Folgekommentar scheint man jedoch seine eigene Vereinsgeschichte etwas vergessen zu haben: „Haben wir hier in Niedersachsen real so erlebt. Als hier seitens des entsprechenden Referats für das TT aus LSBTTI „Transgender Transsexuell“ plötzlich „Trans*, Transgender“ wurde. Dem hat der Vorstand LtSN (der nun nach Jahren vergeblichen Versuchs der Gründung verstorben ist) auch noch zugestimmt. Auch diese angebliche Intressenvertretung hatte aus uns Trans*Weibilchkeiten und Trans*Männlichkeiten gemacht.“ [Link zum vollständigen Text]
Was an dieser Aussage sicher richtig ist: der Landesverband für transgeschlechtliche Selbstbestimmung – LtSN – hat seine Arbeit nun endgültig beendet (siehe auch „Eine Randnotiz mit Fragen – Tod eines Landesverbandes“). Was man nun aber wahrscheinlich übersehen hat, ist die Tatsache dass der VTSM selbst Mitglied im LtSN war und auch für Vorstandsämter in der Vergangenheit kanditierte. Ebenso hatten die Vertreter des VTSM im LtSN doch sehr aktiv an dieser ruinösen Politik des Landesverbandes bis zum Schluß Anteil genommen und sich aktiv daran beteiligt.
Warum man sich nun wieder einmal mehr gegen eine tolerante Politik ausspricht, bleibt sicher ein Geheimnis in den Köpfen des VTSM; kein Geheimnis ist es, dass sich dieser Verein für eine Wiedereinführung einer Operationspflicht ausspricht, um eine völlige rechtliche Gleichstellung bei der Personenstandsänderung zu erlangen.
„§ 7 Verfahren
[Quelle: Kommentierung der Gutachten„Humbold Universität“ Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen – Seite 13 / http://www.transsexuellev.de/fileadmin/Dokumente/Gutachten_TSG_Kommentar__schriftlich_.pdf„
Gerade diese Verpflichtung zu einer geschlechtsangleichenden OP wurde vom Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren als unzulässig erklärt. Und nun kommt ein kleiner Verein transsexueller Menschen und verlangt allen Ernstes, erst mit der Verpflichtung zur GaOP eine völlige rechtliche Anerkennung zu erfahren. Wo hier eine Interessenvertretung noch stattfinden soll, bleibt sicher vielen Betroffenen ein Rätsel. Und was noch schlimmer ist: Dieser Verein zwingt Betroffene in eine Zweiklassengesellschaft und verwehrt ihnen die Inanspruchnahme eines Offenbarungsverbotes.
Da kann ich nur sagen: Willkommen im geistigen Mittelalter und ich freue mich über die Erfolge in Kanada, verbunden mit der Hoffnung, dass auch wir in Deutschland eine lang notwendige Reform des TSG haben werden.
Meinungen und mehr zum Gesetz in Kanada
TAZ: http://www.taz.de/!5418703/
http://globalnews.ca/news/3532824/senate-passes-bill-c-16-which-defends-transgender-rights/
288,661 total views, 212 views today
2 Kommentare
Ja der VTSM ist schon ein denkwürdiger Verein. Ich erinnere mich was ich mich beschimpfen lassen durfte als ich im Zusammenhang mit deren Mitgliedern von „echten“ oder „wahren“ Transsexuellen gesprochen habe. Schön dass die deutsche Sprache so mannigfaltig ist und man so das Synonym originäre Transsexualität finden konnte. Dazu hat man noch mal eben das „Neurogenitale Syndrom“ „NGS“ erdacht.
Mal abgesehen, dass NGS nur von diesem Verein verwendet wird, schauen wir einmal was NGS wohl ist. Wir werden sehen, dass dieses (NGS) welches sich ja offensichtlich deutlich von allen anderen Trans*varianten unterscheiden soll, ganz klar dadurch auszeichnen soll, dass es erstens eine Selbstdiagnose ist, schon allein weil man dieses NGS schlicht nicht diagnostizieren kann, und zum anderen, dass Betroffene ein 100%ig weibliches oder männliches Gehirn im gegengeschlechtlichem Körper haben sollen. Die Genitalien sollen sich bei diesen Menschen vom Gehirn abweichend entwickelt haben. Es läge also eine Fehlentwicklung dieser Genitalien vor.
Mal davon abgesehen, dass bei einem Menschen mit einem xy-Chromosomensatz die Entwicklung männlicher Genitalien von der Biologie als die Norm betrachtet wird und alles andere von dieser Norm abweichen würde und als Intersexualität verstanden werden würde, und man somit eher von einer Fehlentwicklung des Gehirns ausgehen müsste, ist es derzeitiger Stand der Wissenschaft, dass es vermutlich, wenn überhaupt, nur sehr selten Gehirne gibt die 100%ig einem der beiden im binären System vorhandenen Geschlechter zuzuordnen wären.
Wieso dieses nun gerade beim NGS anders sein sollte erschließt sich wahrscheinlich nicht nur mir so gar nicht.
Nun soll der Gesetzgeber offensichtlich nur den originären Transsexuellen den vollen Schutz und die vollen Rechte des TSGs zugestehen. Insbesondere das Offenbarungsverbot soll offensichtlich hiervon abhängig gemacht werden. Da NGS ja eine Selbstdiagnose sein soll, muss ein eindeutiges Erkennungsmerkmal her. Dieses ist aus Sicht des VTSM jenes, dass man sich einer genitalen Operation zu unterziehen habe, bevor man, die Personenstandsänderung, wie wir sie heute kennen erhalten darf. Für alle anderen soll es eine kleine Lösung geben, eine Personenstandsänderung in der die Geburtsurkunde nicht geändert wird, letztendlich also eine kleine Lösung die nicht vor Offenbarung schützt und auch gar nicht vor dieser schützen soll.
Es soll also wieder ein OP-Zwang aufgebaut werden wie wir ihn vor 2011 hatten und wie dieser vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde. Dieses Gericht hat sinngemäß nämlich festgestellt, dass das was der Mensch zwischen den Beinen hat in den Bereich seiner Intimsphäre gehört und somit weder die Öffentlichkeit noch den Staat etwas anginge. Es können also keinerlei Rechte aus den Genitalien oder einer Operation dieser hergeleitet werden.
Festzuhalten ist aber, dass dieser Verein, massiv gegen die Interessen, auch der selbstdefinierten Klientel verstößt, zumindest solange dieses sich noch nicht hat operieren lassen.
Wie auch die Mitglieder dieses Vereins wissen handelt es sich bei diesen Operationen, zu denen alle Trans*menschen welche die vollen Rechte erlangen wollen genötigt werden sollen um massive Eingriffe, die zwar meistens aber keinesfalls immer, zum gewünschten Erfolg führen. Auch wissen diese Menschen, dass etliche Personen sich aus gesundheitlichen Einschränkungen heraus dieser Operation nicht unterziehen können.
Wer Personen zu einem Eingriff dieser Größenordnung nötigt, in dem er die Erlangung der vollen Menschenrechte von diesem abhängig macht, macht sich indirekt der schweren Körperverletzung schuldig.
Der Gesetzgeber darf dieses zum Glück nicht, aber der VTSM versucht dieses zumindest, in dem er die Mitgliedschaft in seinem elitären Verein genau von diesem einem Eingriff (meistens sind es mehrere) abhängig macht. Und alle Trans*menschen die aus welchem Grunde auch immer für sich diese OP nicht brauchen oder nicht riskieren wollen ausschließt und ihnen die volle Anerkennung in deren gelebten Geschlecht verwehrt.
Das Weltbild dieses elitären Häufleins lässt auch keinerlei Graustufen zu, der Mensch ist aus deren Sicht zu 100% Mann oder Frau alle Graustufen dazwischen ignoriert dieser nicht nur konsequent, was schon schlimm genug wäre, nein er erklärt sie zu seinen Feindbildern.
Würde sich eine Partei die Ziele des VTSM zu eigen machen, so würde ich diese Partei als verfassungsfeindlich bezeichnen und bräuchte sicher keine Angst zu haben dafür belangt zu werden.
Ein Beispiel für die Arbeitsweise dieses Vereins ist z.B. der Wahlflyer. Dort werden die Parteien unter anderem gefragt, wie sie denn verhindern wollen, dass die geborene Frau den Rest ihrer Tage im Altenheim mit jemanden ein Zimmer teilen müsste der ein männliches Genital besitze.
Trans*vereine hätten die Frage anders gestellt, wir hätten gefragt wie wir diese Frau mit männlichem Genital davor schützen können, dass dieser Umstand offenbart wird.
Die Lösung mag in beiden Fällen die gleiche sein, doch zeigt die Sicht auf das sicherlich vorhandene Problem eindeutig welch Geistes Kind man ist.
Außerdem wird in diesem Flyer die Politik dazu aufgefordert, die Öffentlichkeit über die „streng wissenschaftliche“ Unterscheidung zwischen NGS und Trans* zu informieren. Die „Echtheitsprüfung“ durch den geneigten Bürger könnte dann vermutlich nur durch den Griff in den Schritt erfolgen, oder durch Kenntlichmachung der nicht originären Transsexuellen durch ein kleines Symbol in der Öffentlichkeit. Ach Mist so etwas hatten wir ja schon einmal, naja vielleicht reicht auch ein Vermerk im Ausweis, ach Menno das gab es auch schon, naja die vom VTSM werden schon irgendeine kluge Lösung für dieses Problem finden.
Mann sollte doch etwas genauer auf das schauen was in Kanada passiert.
In diesem Antidiskriminierungsgesetz Bill C-16 werden nur federale Angelegenheiten geregelt. Das heißt das es nur für federale (Bundes) Beamte bzw. Behörden gilt.
Dies ist wie Deutschland nur ein Fragment des alltäglichen Lebens.
Als Deutschkandadische Trans* kann ich aus Erfahrung sagen das Kanada in Sachen ‚Trans- Rights, nicht weiter ist wie Deutschland.